„In den vergangenen zehn Jahren stieg die Zahl der Beschäftigten ohne regulären Vollzeitvertrag um 2,5 Millionen“. So ist in der SZ vom 20. August 2009 unter diesen Schlagzeilen zu lesen, unter Berufung auf Berechnungen vom Statistischen Bundesamt, die am 19. August 2009 veröffentlicht wurden.
Beschäftigte ohne Vollzeitvertrag, das sind Teilzeitbeschäftigte, 400-Euro-Jobber, Leiharbeiter, sowie Arbeitnehmer mit befristeten Verträgen. Die Steigerung um 2,5 Millionen bedeutet, dass nunmehr 7,7 Millionen Beschäftigte in derartigen Arbeitsverhältnissen arbeiten – oder 34 % der arbeitenden Bevölkerung (!).
Am meisten davon betroffen sind junge Menschen, Frauen und Dienstleister, die einem sogenannten atypischen Arbeitsverhältniss nachgehen und dabei auch noch deutlich weniger verdienen. Ergab ein reguläres Beschäftigungsverhältnis 2006 noch einen durchschnittlichen Bruttolohn von 18 € pro Stunde, wurden diese Jobs mit nur 12 € bezahlt – fast die Hälfte davon sogar unterhalb der Niedriglohngrenze von 9,85 €.
Inzwischen ist es sogar üblich, dass junge, gutausgebildete Akademiker erst einmal 2 und sogar mehr Jahre mit zeitlich befristeten Arbeitsverträgen, mit deutlich weniger Gehalt auf „Probe“ arbeiten, bis sie – bei guter Leistung, gefügigem Verhalten, und Nichtberechnung von Überstunden, eventuell auf Normalvertrag übernommen werden.
Wie sollen diese Menschen ihr Leben planen können? Wer will da noch ein Haus bauen oder eine Eigentumswohnung kaufen? Wie sollen sich diese Beschäftigten noch mit ihrem Arbeitsplatz und ihrer Firma identifizieren, warum sollen sie sich mehr als notwendig engagieren? Wo bleiben die motivierten Mitarbeiter, die angeblich das größte Kapital der Unternehmen sind (waren!). Wie sollen diese Menschen die Forderung der Politiker erfüllen, für ihr Alter zusätzliche Ersparnisse anzulegen? Welche Auswirkungen hat diese Entwicklung auf die langfristige Wirtschaftsentwicklung, wenn mehr und mehr von der Hand in den Mund leben, langfristige Belastungen (Kinder gehören auch dazu!) aus verständlichen Gründen nicht mehr wollen oder sich leisten können? Wer zahlt eigentlich diese enormen Kosten für unsere soziale Systeme wie Altersrenten, unsere nicht-privaten (dafür solidarischen) Krankenkassen und die Pflegeversicherung? Wohin führt dieses weitere Auseinanderdriften der sozialen und gesellschaftlichen Schere?
Wollen eigentlich die, die von dieser Entwicklung am meisten profitieren langfristig in einem Land leben, dessen Entwicklung aufgrund dieser Verwerfungen abzusehen ist? Wollen sie weiter den Kopf in den Sand stecken?
Vielleicht hilft es ihnen, noch größere Zäune um ihre Grundstücke zu ziehen, diese mit noch besseren Alarmanlagen auszurüsten, ihre Kinder in noch mehr Privatschulen zu schicken, sich insgesamt noch mehr von ihrer Umgebung zu isolieren und insgesamt in ihrer eigenen Welt zu leben.Vielleicht ist das seligmachende Ziel in Reichenghettos zu leben, wie in Teilen der U.S. A., mit Schranken, Pförtner und Security Guards.
Vielleicht kapieren sie erst dann, dass man Geld nicht fressen kann – und dass es nicht Geld ist, das glücklich macht. Vielleicht satt, bis zu einem gewissen Grad. Aber bekanntlich lässt sich Glück nicht kaufen.
Übrigens: Am 27. September ist Bundestagswahl. Falls sie noch ein bisschen an diese Demokratie glauben und nicht nur Wahlschaf sein wollen, sollten sie sich vielleicht die Programme der Parteien etwas genauer anschauen, die Sprüche aber auch ein wenig mit den Taten der Vergangenheit vergleichen. Sie brauchen dafür nur den Namen der Partei bei Google oder Yahoo einklopfen. Die Süddeutsche Zeitung (und nicht nur die) druckt jede Woche Zusammenfassungen zu einzelnen Themen, wie beispielsweise dem Programm zu den Sozialsystemen der einzelnen Parteien.
Und noch was: Laut Statistik und der 50+Studie von Professor Otten sind mehr als 40% der Wähler bei dieser Bundestagswahl im Alter 60Plus. Sie sind eigentlich diejenigen mit der größten Unabhängigkeit. Sie sind es, die den Mund am weitesten aufmachen können, die sich ohne Angst vor Repressalien und Konsequenzen engagieren können. Sie sollten es tun! Es ist besser, als auf der Couch zu hocken. (siehe dazu auch meinen Eintrag vom 19. August, Rentner: Arm aber frei!).
Diese Entwicklung ist sehr erschreckend! Ich kann aber auch nicht nachvollziehen, warum manche Unternehmer ihre Mitarbeiter „klein“ halten, denn damit motivieren sie diejenigen, die sie brauchen, um ihr Unternehmen halten zu können, nicht besonders…Und die Beteiligung an den Bundestagswahlen hat es wiedereinmal gezeigt: Die Menschen schimpfen gerne, aber wählen gehen tun sie nicht…